Wiedergewonnenes Leben

Ausgestreckter Hummelruessel, huntertfach vergroessert.Nun läßt sie sich die warme Sonne auf den Buckel brennen. Mit zwanzig an beiden Körperseiten verteilten Atemöffnungen saugt sie die milde Luft in vollen Zügen ein. Rasch trocknen die nassen Schwingen und der feuchte Pelz, aufs neue durchströmt das träg gewordene Blut den Körper und alle Glieder. Langsam regt sich die Lebenslust wieder. Nun ist sie nach ihrem Vorleben als Larve und Sommerhummel das dritte Mal zum Leben erwacht, verlassen von allen Schwestern, ohne schützendes Heim, ganz allein auf sich selbst gestellt.

Vergessen ist die Vergangenheit, und was ihr bevorsteht, was sie alles zu verrichten hat in den kommenden Wochen, davon weiß sie nichts. Allein ihr Gefühl, ihr untrügliches ererbtes Können wird sie führen — ihre Instinkte also, und das sind recht merkwürdige Eigenschaften, die insbesondere alle Insekten befähigen, ohne Vernunft jederzeit so zweckmäßig zu handeln, als wären sie dennoch vernünftig.

Als Bombina auf ihrem Stein völlig getrocknet und hellwach ist, beginnt sie sich zu säubern, denn das Winterlager hat Spuren hinterlassen. Zum Putzen dienen sechs Bürsten und zwei Spezialkämme, die an geeigneten Stellen der Beine zweckmäßig verteilt sind: An den Vorderbeinen, am oberen Teil der Ferse, befindet sich je eine Putzscharte, ein halbkreisförmiger Einschnitt, besetzt mit einem Kamm feinster Härchen. Ihr gegenüber, am Hinterende der Schiene, ragt ein Sporn hervor, der sich beim Krümmen des Gelenkes gegen die Öffnung der Putzscharte preßt. Bombina legt den linken Fühlerschaft in die Fersenscharte, verschließt sie mit dem Sporn und zieht den verschmutzten Fühler in seiner ganzen Länge durch den kreisförmigen Haarkamm. Das wiederholt sie so oft, bis auch das allerletzte Stäubchen von der empfindlichen Fühlerantenne gefegt ist. Ebenso verfährt sie mit dem rechten Fühler. Dann schrubbt sie mit ihren Borstenbürsten, die an den Innenseiten aller sechs Fersen liegen, Schmutz und Staub von Kopf, Körper, Beinen und Flügeln, bürstet auch den Pelz auf Hochglanz, bis sie zuletzt vor Sauberkeit und Frische nur so strahlt. Bombina ist zum neuen Leben bereit.

Was ihr jetzt, nach dem fünfmonatelangen Winterfasten, vor allem not tut, ist eine stärkende Mahlzeit. Zwar bietet die Jahreszeit noch nicht viele Blüten, Bombina weiß aber auch die wenigen, weitverstreuten schnell zu finden. Ganz in ihrer Nähe locken leuchtend blaue Frühlingsanemonen. Da Blau zu ihren Lieblingsfarben zählt, fliegt sie fröhlich summend hinüber und umklammert eines der zarten Blümchen, das sich unter der Last der schweren Hummel tief zur Erde neigt. So tief, daß Bombinas Rücken beinahe den Boden berührt und der schwache Blütenstengel zu brechen droht.

Diese bescheidenen Lenzblümchen sind indessen sehr arm, sie können ihren Gästen keinen Nektar, nur ein wenig Blütenstaub anbieten. Mit solch trockener Kost ist der hungrigen Hummel aber gerade jetzt nur wenig gedient, sie braucht als Ergänzung einen belebenden Trank. Also rührt sie mit ihren Fühlern ein wenig in der Luft herum und erspürt alsbald sehr verlockende Düfte. Zwischen den Stämmen hoher Buchen führt die kurze Luftreise geradenwegs zu den purpurroten Sternen des vollerblühten Seidelbastes. Tief senkt Bombina ihren Rüssel immer wieder in die übervollen Kelche und füllt sich den leeren Magen mit dem süßen Nektar. Daß ihr dabei die Staubfäden der Blüten jeweils einige Pollenkörnchen auf den Rüssel kleben, stört die Hummel nicht. Sie streift die Körnchen wie zufällig an den Fruchtknoten anderer Seidelbastblüten wieder ab. Dadurch ist sowohl Bombina wie den Sträuchern geholfen, die die Hummel als zuverlässigen Bestäuber benutzen.

So vergeht, angenehm unterbrochen von Sonnenbädern, die erste Stunde des wiedergewonnenen Lebens. Bombina ist wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte und von unbändigem Lebensdrang erfüllt. Steil stürmt sie in den Himmel hinauf, herab zu den Fluren und jagt in weiten Kreisen über die Wiesen, so lange, bis sich erneut der Hunger meldet. Diesmal hilft die Salweide, die am Ufer eben ihre Kätzchen entfaltet. Viele Bienen sind hier bereits an der Arbeit, raffen eilig Blütenstaub in ihre Sammelkörbchen und füllen die Vormägen mit Nektar als Futter für ihre junge Brut und für jene Schwestern, die im Stock alle „Hände" voll zu tun haben. Auch Bombina schleckt lange von den fast offen liegenden Honigtröpfchen und hört nicht eher auf, bis sie übersatt und angenehm ermüdet zu Boden taumelt, um dort, versteckt im dürren Gras, ein kurzes Schläfchen zu halten.

 

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