Die Hilfstöchter

Hummel versucht sich an einer BlattknospeIn abermals vierzehn Tagen vollzieht sich innerhalb der Brutzellen und innerhalb ihrer gelben Seidentönnchen die Umwandlung der trägen Larven in Hummeln. Bombina greift nun zu, legt die Puppen frei, entfernt die Zellwände und wärmt die Kokons von jetzt ab direkt mit ihrem Körper. Sie hilft den jungen Hummeln auch beim Öffnen und Verlassen ihrer Seidenhüllen. Und im gleichen Augenblick herrscht lebhafter Betrieb in der Hummelhöhle. Es sind dreizehn Töchter, klein zwar und unterentwickelt; denn zu viele mußten in den Zellen Raum und Nahrung teilen; aber alle sind sie quicklebendig. Außer den verkümmerten Keimdrüsen besitzen sie alles, was zu einer Erdhummel gehört. Ihre Pelze zeigen anfangs eine gelblichweiße Farbe, werden aber in wenigen Tagen ähnlich bunt wie der Pelz der Mutter.

Die dreizehn Zwerglein regen und rühren sich. Ohne Anleitung, ohne Zwang räumen sie die Kammer auf, beseitigen die Abfälle, schwitzen Wachs aus, helfen neue Brutnäpfe bauen, schleppen dürre Halme zusammen und was sie sonst noch Geeignetes vor dem Nest vorfinden, fertigen Berge von Nistmaterial daraus und häufen es rings um die Brutzellen zum Wärmepolster auf. Nur Nahrungsmittel, Honig und Blütenstaub, muß Bombina in den ersten Tagen noch allein besorgen, und sie ist unermüdlich unterwegs. Doch bald fliegen auch die Töchter aus. Jede umkreist, ehe sie auf ihre erste Reise geht, fünf bis zehn Minuten lang, zunächst in engen, dann in immer weiteren Spiralen, erst tief, dann immer höher, den Nesteingang und prägt sich aus naher und weiterer Sicht genau alle Merkmale der Umgebung ein; nicht nur ihr Leben, auch das der übrigen Familie hängt davon ab, daß sie bei der Rückkehr den versteckten Zugang zum Nest wieder auffinden.

Die exakte Geometrie des Wabenbaus, wie sie die Honigbienen anwenden, finden wir in Hummelnestern nicht. Warum auch? Äußerste Raumausnutzung wird nur notwendig bei übervölkerten Staaten, nicht in den kleinen Familien der Hummeln. Wie Bombina, so halten sich auch ihre Töchter beim Bau der Brutzellen nicht an die Gesetze der strengen Mathematik, sie bilden ihr Werk eher nach Art der modernen Kunst. Ob die Zellen ein wenig schief stehen, ob eine etwas hervorragt, die andere etwas tiefer liegt, den Hummeln ist das ziemlich gleichgültig, darauf kommt es nicht an. Mehr oder weniger zeigt die Anhäufung der Brutzellen, die bis zum Hochsommer Größe und Form einer leicht eingekrümmten Handfläche erreicht, einen ziemlich schlampigen Aufbau, wärme- und bautechnisch hingegen ist sie einwandfrei; denn die Zellen werden dicht aneinandergestellt und miteinander verbunden, damit mehr Wärme entsteht und Baumaterial gespart wird. Als die Brutnäpfe sich rasch vermehren, verteilt Bombina ihre Eier fortan großzügiger. Statt mit sechs oder sieben, belegt sie jetzt die einzelnen Zellen nur mit zwei bis vier Eiern. So bekommen die Larven mehr Raum und auch mehr Futter, sie wachsen zu kräftigeren Hummeln heran, die nach dem Schlüpfen aus den Kokons beinahe so groß wie die Mutter sind. Mit der steigenden Zahl der Nestinwohner müssen auch mehr Vorräte gehalten werden. Weil Wachs ein zu kostbarer Stoff ist, verwenden die Hummeln jetzt auch die leer gewordenen Puppentönnchen als Behälter für Honig und Pollen. Das von den alten Zellen sorgsam abgetragene Wachs wird bei Neubauten wieder verwendet.

Bombinas wichtigste, aber durchaus nicht einzige Aufgabe besteht weiterhin in der Ablage von Eiern. Die unfruchtbaren Hilfstöchter können ihr dabei nicht helfen, im Gegenteil: Paßt Bombina einmal nicht auf, rennen sie zu der noch unverschlossenen Zelle, stehlen sich heimlich eines der eben abgelegten Eier und tragen es in eine stille Ecke, um es dort zu verzehren. Erwischt die Hummelmutter ihre mißratenen Töchter dabei, dann setzt es unnachsichtlich schmerzhafte Bisse und Püffe, so oft und so gründlich, bis die Naschhaften vernünftig werden. Ein bei Insekten sehr seltener Fall von Strafe und Erziehung!

Das ist im allgemeinen weder üblich noch notwendig. Die Nachkommen, auch wenn sie mit den Eltern zusammenhausen, bedürfen im allgemeinen keines Zwanges, keiner guten Beispiele, um stets zur rechten Zeit das Rechte zu tun. So haben Bombinas Nachkommen der Mutter nicht erst abzugucken brauchen, wie man aus Streu Häcksel macht und weiche Polster daraus herstellt. Sie „wissen", daß man Pollen zum Bau der Wände mit Wachs, zum Futterbrei aber mit Honig vermischt und in welchem Verhältnis die Mischung erfolgen muß. Sie „wissen", wo eingebrachte Vorräte jeweils aufbewahrt werden und welche Formen Brutzellen haben müssen. Sie, die als Larven blind, flügellos und ohne Beine waren, spazieren zum Nest hinaus, entfalten ihre Schwingen und erheben sich in die Luft, ohne Anleitung, ja, ohne Aufforderung, als hätten sie seit eh und je nichts anderes getan. Sie, die vordem Blinden, „wissen" sofort, wie notwendig es ist, sich Merkzeichen genau einzuprägen. Bis vor kurzem fraßen sie Brei und eßbare Wände, nunmehr fliegen sie ohne Zögern Blüten an, die sie nie gesehen haben. Trotz der Vielgestalt der Blütenformen finden sie bei allen sofort den oft sehr verborgenen Zugang zum Kelch, saugen den Nektar nicht nur in ihre Mägen, sondern füllen damit auch die Vormägen, deren Inhalt dann später der Brut zugute kommt, für Zwecke also, von denen sie nichts ahnen können. Sie häufen Blütenstaub in ihre Körbchen und tragen ihn brav nach Hause, alles Dinge, die wir unseren Kindern erst erklären und wozu wir sie erst anlernen müssen.

 

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