Vom ersten Töpfer und den Brutkrügen

Weit in das sommerliche Land hinein verlor sich Vespa und war ohne Sorge, ob sie das heimatliche Nest auch wiederfinden würde. Sie wußte, daß sie sich auf ihren Ortssinn verlassen durfte. In vollen Zügen konnte sie das freie Umherschweifen auskosten. Auch die Sorge um das tägliche Brot kannte sie nicht. Wiesen, Felder und Wegraine, Wälder, Haine und Auen wetteiferten, ihr die üppigsten Blumenspeisekammern darzubieten. Kleine Beutetiere aber schwirrten und flügelten so reichlich umher, daß sie nur zuzu­greifen brauchte. Oho, und sie war eine Jägerin, die ihre Sache verstand! Wie ein Falke schlug sie die Fliegen mitten im Flug und schaute fast verachtungsvoll auf die Wegwespen herab, die keine Staaten bildeten und sich nur selten hoch in die Luft erhoben.

        Es war wie ein prahlendes Jauchzen in Vespas knisterndem Flug, ein stürmisches und selbstbewußtes Besitzergreifen der Welt. Dieses Gefühl entsprang übrigens keiner eitlen Überhebung. Wir werden es noch erfahren, daß der Wespe wirklich die Welt gehört. Es gibt kaum ein anderes Geschöpf, das mit so vielen und so unerhörten Fähigkeiten begabt ist und das sich so unlösbar in den großen Kreislauf der Natur gefügt hat. Und darum laßt uns Vespa nicht aus dem Auge verlieren!

        Und besonders jetzt nicht, da sich mit Schwung und Summ und Flügelblitz ein begeistertes Männchen auf sie stürzte. Vespa schüttelte den allzu stürmischen Freier zwar schnell ab, nahm ihn jedoch als Spielgefährten gern an. Steil schraubte sie sich empor, riß sich hoch über die Baumwipfel und schoß pfeilschnell davon. In tollen Flugspielen umwirbelte das Männchen die Königin und blieb ihr dicht auf den Fersen. Aber noch waren die Kräfte nicht genügend erprobt. Noch mußte der Freier erst einmal beweisen, daß nur er und kein anderer dazu auserkoren war, diese kostbare Beute zu gewinnen. 0h, und es gab der Nebenbuhler genug! Es gab hitzige Kämpfe in der Luft, im Moos und im Staub der Wege. Kämpfe, in denen hart und erbittert gerungen wurde und Fühlerbruch und Flügelknick nicht selten waren. Doch immer wieder konnte sich das erste Männchen durchsetzen und als Sieger zu Vespa zurück­kehren.

        Und es kamen Tage der völligen Ruhe. Langweilige Regentage, an denen Vespa in irgendeiner glockigen Blüte oder ' in einem dichten Baumwipfel die Wetter vorübertoben ließ. Und an einem solchen Tage war es auch, da sie die schwarzgoldene Pillenwespe beim Bau ihrer Brutkrüge beobachtete. Schon die Gestalt der Pillenwespe erregte Vespas Neugier. Wir Menschen würden diese Gestalt der Pillenwespe vielleicht am besten mit einem Ausrufe­zeichen vergleichen. So sehr verjüngt sich der breite Hinterleib gegen die Brust zu, und so dick sitzen die Brust und der Kopf an diesem dünnen Stiel. Gerade die feuchte Witterung war der Pillen­wespe recht. Leicht konnte sie da den Lehm von den Wegpfützen holen und brauchte ihn nicht noch lange durchzuspeicheln. Mit großem Geschick klebte sie die Lehmklümpchen auf einen ver­trockneten Zweig und schuf sich eine kleine Plattform. Auf dieser Grundlage errichtete sie dann einen hübschen Ringwall, erhöhte ihn in unermüdlicher Arbeit, ließ ihn wie einen Krug in der Mitte breit ausbuchten und nach oben wieder zusammenlaufen. Und ehe Vespa so richtig begriffen hatte, was hier entstand, ruhte auf dem Zweig eine haselnußgroße Vase, die gleichmäßig gerundet und geschmackvoll gebaucht war. Ja wirklich, kein Töpfer hätte diesen kleinen Krug besser herstellen können! Das Gehäuse brauchte nur noch verschlossen zu werden.

        Vespa begutachtete das Kunstwerk der Pillenwespe sehr genau und gründlich. Sie befühlte die sich schnell erhärtenden Wände und verhinderte durch ihre Anwesenheit, daß die Pillenwespe um die Frucht ihrer Arbeit gebracht wurde. Schon lange trieben sich nämlich zwei regenbogenfarbene Feuergoldwespen in der Nähe herum, die sich gegenseitig zu verjagen versuchten. Beide beabsichtigten, ihre Eier in den Brutkrug der Pillenwespe zu schmuggeln und so ihren Madenkindern ohne eigene Mühe eine sichere Wiege zu verschaffen. Sie warteten nur darauf, bis die Pillenwespe reichlich Räupchen in den Krug gebracht hatte und noch einmal ausflog, um noch eine letzte Beute zu suchen. Aber diesmal kamen diese kleinen Kuckucke der Insektenwelt nicht auf ihre Rechnung. Denn Vespa blieb so lange sitzen, bis die kunst­fertige Töpferin ihr eigenes Ei auf den eingeschleppten Raupen abgelegt und dann den Brutkrug sorgfältig verschlossen hatte.

        Zugleich mit Vespa verließen auch die Feuergoldwespen den Busch und flogen jetzt zur alten Feldscheune hinüber. In die morsche Lehmwand der Scheune hatten viele Mauerwespen kleine Löcher genagt und nach außen mit einem abwärts gekrümmten Rohrchen versehen, das den Regen abhielt. Auch sie waren gerade dabei, ihre Bruthöhlen mit gelähmten Raupen vollzustopfen. Und hier hofften die enttäuschten Feuergoldwespen nun endlich ihre Eier loszuwerden. Vespa überließ es den Mauerwespen, diese farbenprächtigen Brutschmarotzer zu vertreiben. Der Regen hatte nachgelassen. Die Erde dampfte vor Wärme. Die siegreiche Sonne spiegelte sich in unzähligen Tropfen, und ein stürmisches Männchen verlockte Vespa zu wilden Flugspielen. Da hatte sie keinen Sinn mehr für die Baukünste ihrer Verwandten.

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